am 9.6.25 11:30 Uhr bis 12:30 Uhr im Kurhaus Bad Herrenalb
Zusammenfassung des Workshops „Hat das Herrenalber Modell noch Zukunft“
Moderation Rolf Krause
Der Workshop „Hat das Herrenalber Modell noch Zukunft“, veranstaltet von Förderkreis und Forum Herrenalber Modell am Pfingstmontag im Kurhaus, befasste sich mit der Geschichte, den Herausforderungen und den Perspektiven des Bad Herrenalber Modells im Kontext des deutschen Gesundheitssystems. Der erste Vortrag von Rolf Krause beleuchtete die Entstehungsgeschichte des Modells, seine aktuelle Situation und mögliche Wege, es in der Zukunft zu erhalten und weiterzuentwickeln.
1. Historischer Hintergrund des Bad Herrenalber Modells
Das Modell wurde 1971 von Walter Lechler gegründet, inspiriert von den Prinzipien der Anonymen Alkoholiker (AA). Ziel war es, das Genesungskonzept der AA, das sich auf Selbsthilfe und Gemeinschaft stützt, in die psychosomatische Behandlung zu integrieren. Dabei sollten sowohl Menschen mit Suchterkrankungen als auch andere psychisch Erkrankte gleichermaßen behandelt werden. Dieses Konzept, das Sucht- und psychosomatische Behandlung vereint, war innovativ, stand jedoch oft im Widerspruch zu den Strukturen des Gesundheitssystems, insbesondere der Deutschen Rentenversicherung (DRV).
In den 1960er- und 1970er-Jahren war die Gründung psychosomatischer Kliniken auch eine Reaktion auf die Reformbewegung nach der NS-Zeit, mit dem Ziel, die Trennung zwischen Sucht- und anderen psychischen Erkrankungen aufzuheben. Diese Kliniken wurden zunächst überwiegend im Rehabilitationsbereich von der DRV finanziert, während akute Behandlungen von Krankenkassen übernommen wurden.
2. Herausforderungen im deutschen Gesundheitssystem
Die Trennung zwischen Akut- und Reha-Behandlung sowie die strikte Unterscheidung zwischen Sucht- und psychosomatischen Erkrankungen durch die DRV stellten eine große Hürde dar. Die DRV bevorzugt spezialisierte Suchtkliniken und war skeptisch gegenüber dem integrativen Ansatz des Herrenalber Modells, was dazu führte, dass Kliniken, die dieses Konzept verfolgten, zunehmend an Unterstützung verloren. Seit den 2000er Jahren wurden viele Kliniken gezwungen, ihr Konzept anzupassen oder schlossen, da sie keine ausreichende Finanzierung mehr erhielten.
Die Krankenkassen finanzieren zwar die körperliche Entgiftung bei Suchterkrankungen, nicht jedoch die längerfristige Entwöhnung, die weiterhin in den Zuständigkeitsbereich der DRV fällt. Dies erschwert die Umsetzung des integrativen Modells, da weder Krankenkassen noch DRV das Konzept in seiner ursprünglichen Form unterstützen. Kliniken wie die im Allgäu (Adula, Wolfsried) konnten durch die frühzeitige Vergabe von Akutkrankenhauslizenzen in Bayern überleben, nehmen jedoch nur noch Patienten mit langjähriger Abstinenz auf, was eine Abweichung vom ursprünglichen Ansatz darstellt.
3. Diskussion über die Zukunft des Modells
Der Vortrag thematisierte die Zwickmühle, in der sich das Modell befindet: Die DRV lehnt das Konzept ab, und die Krankenkassen unterstützen nur Teile davon. Dennoch gibt es Hoffnung, das Modell durch alternative Ansätze zu bewahren. Vorschläge aus dem Publikum umfassten: – Politische Lobbyarbeit: Kontakte zur Politik könnten helfen, das Modell sichtbarer zu machen und Unterstützung zu gewinnen. Allerdings fehlen derzeit die Ressourcen und Kontakte, um dies effektiv umzusetzen. – Kooperation mit anderen Disziplinen: Ein Vorschlag war, Verbindungen zur Ergotherapie herzustellen, da diese Parallelen zu den 12-Schritte-Programmen aufweist und im Gesundheitssystem etabliert ist. – NGO-Ansatz: Die Gründung einer Nichtregierungsorganisation (NGO) wurde vorgeschlagen, um Fördermittel (z. B. auf EU-Ebene) zu beantragen und das Modell unter Themen wie „Heilung des Planeten“ oder „Demokratieförderung“ zu vermarkten. – Mediensucht als Zugang: Die Einbeziehung moderner Themen wie Medien- oder Internetsucht könnte jüngere Zielgruppen ansprechen und die Relevanz des Modells erhöhen. – Netzwerkaufbau: Die Reaktivierung alter Kontakte und der Aufbau eines bundesweiten Netzwerks wurden als Mittel vorgeschlagen, um die Verbreitung des Modells zu fördern.
4. Philosophische und emotionale Dimension
Der Vortrag von Klaus von Ploetz betonte die transformative Kraft des Herrenalber Modells, das über traditionelle Psychotherapie hinausgeht. Es wurde als eine „Befreiung aus einem inneren Gefängnis“ beschrieben, die durch horizontale Beziehungen und authentische Begegnungen ermöglicht wird. Diese Erfahrung sei schwer in Worte zu fassen, da sie erlebt werden müsse. Der Referent verwies auf die kulturellen Wurzeln des Gefühls, „nicht genug zu sein“, und die gesellschaftliche Fixierung auf Erfolg, die das Modell zu überwinden sucht.
5. Organisatorische Schritte
Um die Zukunft des Modells zu sichern, wurde ein Organisationskomitee vorgeschlagen, in das sich Interessierte eintragen können. Zudem wurde die Idee einer „Klinikwoche“ geäußert, um das Modell wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken. Der Förderkreis und das Forum Herrenalber Modell arbeiten trotz begrenzter Ressourcen und ehrenamtlicher Strukturen eng zusammen, sehen sich aber nicht in Konkurrenz.
6. Aufruf zur Beteiligung
Der Workshop endete mit einem Aufruf an die Teilnehmenden, sich aktiv einzubringen, sei es durch Kontakte zur Politik, neue Kooperationen oder die Verbreitung des Modells. Die Bedeutung von Sichtbarkeit und der Aufbau eines Netzwerks wurden hervorgehoben, um die „ansteckende Genesung“ des Modells weiterzutragen.
Fazit
Das Bad Herrenalber Modell steht vor großen Herausforderungen durch die Strukturen des deutschen Gesundheitssystems, insbesondere durch die Trennung von Sucht- und psychosomatischer Behandlung. Dennoch gibt es Hoffnung, das Modell durch innovative Ansätze, Netzwerkarbeit und politische Unterstützung zu erhalten. Die Teilnehmenden wurden ermutigt, sich aktiv einzubringen, um die transformative Kraft des Modells zu bewahren und weiterzuentwickeln. Der Workshop zeigte, dass das Modell nicht nur ein Behandlungskonzept ist, sondern eine tiefgreifende Lebensphilosophie, die auf Gemeinschaft und Befreiung setzt.